Direkt nach der sogenannten Wiedervereinigung 1989 begannen konservative Politiker_innen bis in die Reihen der SPD damit das Asylrecht auszuhöhlen und mit einer menschenverachtenden „das Boot ist voll“, „Scheinasylanten“, „Asylmissbrauch“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ Debatte auf zynische Weise Stimmung gegen Migrant_innen zu machen. So sollte auch von der Massenarbeitslosigkeit nach der Zerschlagung des Sozialsystems und weitreichenden Betriebsschließungen in der annektierten DDR abgelenkt und Protest auf der rechten Seite kanalisiert werden.
Auf dieser Grundlage kam es vor 30 Jahren am 22. August 1992 zu tagelangen rassistischen Übergriffen auf Geflüchtete und Migrant_innen in Rostock-Lichtenhagen. Es handelte sich um das schwerste Pogrom in Deutschland seit dem Faschismus. Die Eskalation der Situation war schon lange vorab absehbar. Der damalige Rostocker Oberbürgermeister Klaus Kilimann von der SPD hatte den Innenminister Mecklenburg Vorpommerns Georg Diederich von der CDU schon im Juli 1991 gewarnt: „Die Sicherheit aller ausländischen Bürger in Rostock ist in einem deutlich höheren Maß gefährdet. Gewalttätigkeiten gegenüber ausländischen Bürgern nehmen zu. Schwerste Übergriffe bis zu Tötungen sind nicht mehr auszuschließen.«
Insbesondere der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe hetzte bundesweit und forderte die Aushöhlung des Asylrechts, gegen die sich „die SPD stemme“. Jeder Asylbewerber sei ein „SPD-Asylant“, so Rühe. Bereits 1991 kam es in Hoyerswerda zu einem Pogrom gegen Geflüchtete und mosambikanische Vertragsarbeiter. In den Jahren 1991 bis 1993 wurden bundesweit im Rahmen von mehr als 4.700 registrierten Angriffen auf Geflüchtete und Migrant_innen 26 Menschen getötet und fast 1.800 verletzt.
In Rostock-Lichtenhagen befand sich 1992 die Erstaufnahmeeinrichtung für das ganze Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In einem elfgeschossigen Wohnblock mit einer aufgemalten Sonnenblume im dicht besiedelten Plattenbauviertel Lichtenhagen lebten weit mehr als die 200 Personen, für die die Einrichtung ausgelegt war. Insbesondere kamen immer mehr Geflüchtete aus Jugoslawien, dass sich im Bürgerkrieg befand. Aufgrund der Überfüllung der Unterbringung waren Hunderte Schutzsuchende, darunter viele Roma, gezwungen, im Freien zu Leben und zu Übernachten. Die Landesregierung unternahm Wochenlang nichts zur Verbesserung der Situation. Faschistische Parteien wie NPD und DVU gründeten vermeintliche Bürgerinitiativen und riefen dazu auf, „das Asylantenproblem selbst in die Hand zu nehmen“.
Am 18. August drohte ein anonymer Anrufer im Namen einer „Interessengemeinschaft Lichtenhagen“ u.a. bei der in Rostock ansässigen Ostseezeitung: „Wenn die Stadt nicht bis Ende dieser Woche für Ordnung sorgt, machen wir das. In der Nacht vom Sonnabend auf Sonntag räumen wir in Lichtenhagen auf. Das wird eine heiße Nacht.“ An dem angekündigten Sonnabend, dem 22. August, hatten sich dann rund 2.000 Personen vor der Unterkunft versammelt und brüllten „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Es flogen Steine und Molotowcocktails. Der Mob versuchte das Gebäude zu stürmen, konnte jedoch von den Anwohner_innen daran gehindert werden. Erst um zwei Uhr nachts griff die Polizei ein und setzte Wasserwerfer ein, um die Menge zu zerstreuen. Am Sonntag wiederholte sich das gleiche Szenario. Meist junge Neonazis griffen das Gebäude an, davor versorgte ein Imbisswagen den Mob mit Bier und Bratwürsten. Vor den Augen von Polizei und Bundesgrenzschutz, wurden Molotowcocktails gebaut. Neonazis waren auch aus Hamburg und Niedersachsen angereist.
Erst am Montag den 24. August wurde dann ein Krisenstab aus Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU), dem Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns und der regionalen Polizeiführung gebildet. „Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unser Land bekommen haben“, so Seiters zynischer Weise. Anstatt die rassistischen Übergriffe zu verurteilen und zurückzuweisen und somit die Geflüchteten in Schutz und weitere Übergriffe zu verhindern, wurde erneut die Geflüchteten beschuldigt und diffamiert und Ihnen ihre Flucht vorgeworfen.
Die Unterkunft wurde dann auf Initiative eines Mitarbeiters am 24. Abends geräumt. In dem Sonnenblumenhaus befanden sich noch Familien ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter. Eine Menge von Tausenden Anwohner_innen stachelte Neonazis auf das Haus anzugreifen, nachdem die zum Schutz abgestellten Einsatzhundertschaften der Polizei aus Hamburg überraschend abgerückt waren. Erneut flogen Molotowcocktails, Feuer brach aus. Durch eine Dachluke konnten sich die Eingeschlossenen, darunter auch einige zur Unterstützung der Vietnamesen eingetroffene Antifaschist_innen und Journalist_innen des ZDF auf das Dach des brennenden Hochhauses retten. Der polizeiliche Notruf war lange nicht zu erreichen. Die Feuerwehr konnte erst nach mehr als einer Stunde mit den Löscharbeiten beginnen, als die Polizei sie entsprechend schützte. Die vietnamesischen Familien mit zum Teil kleinen Kinder, wurden daraufhin in einer Nacht und Nebel Aktion aus dem Hochhaus evakuiert.
Als sich am Dienstag den 25. August keine Geflüchteten und Migrant_innen mehr in Lichtenhagen aufhielten, trafen unnötiger Weise zahlreiche Polizeikräfte aus mehreren Bundesländern ein, um weitere Ausschreitungen zu verhindern.
Noch während des Pogroms in Lichtenhagen verkündete der damalige SPD- Spitzenfunktionär Björn Engholm erstmals die Bereitschaft seiner Partei zur Einschränkung des Asylrechts. Im sogenannten Asylkompromiss einigten sich die regierenden CDU und FDP mit der SPD-Opposition über eine Ergänzung von Artikel 16 Grundgesetz darauf dass politisch Verfolgte zwar Asylrecht genießen, allerdings nur wenn sie nicht aus oder über sichere Herkunftsländer oder Drittstaaten kämen. Geflüchtete, Anwält_innen und Aktive kritisierten diese Gesetzesänderungen zu Recht als verfassungswidrig. Am 26. Mai 1993 stimmte die erforderliche Mehrheit der Bundestagsabgeordneten gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, der PDS und einiger SPD-Abgeordneter für die Grundrechtsänderung. Seitdem wird das Recht auf Asyl immer weiter ausgehöhlt.
Diese Entwicklungen waren die Basis dafür, dass die Brandanschläge in Mölln und Solingen sowie unzählige Anschläge und Übergriffe stattfinden konnten. Auch für die Entstehung des NSU und deren Mordserie wurde so der Boden bereitet. Solange aus der „Mitte der Gesellschaft“ mit Gesetzen und Bürokratie Migrant_innen und Geflüchteten das Leben schwer gemacht oder ein menschenwürdiges Leben für Geflüchtete in Lagern und Unterkünften verunmöglicht wird, solange die Polizei rassistische Kontrollen durchführt und die Rhetorik der nützlichen und unerwünschten Geflüchteten und Migrant_innen bedient wird, wird sich nur wenig zum Guten ändern. Dass Justiz und Polizei oftmals auf dem rechten Auge blind sind verschärft das Problem. Solange wird es auch immer wieder rassistische Angriffe von Rechtsradikalen geben, die zu Toten und Verletzten führen. Wir haben noch viel zu tun.