Die Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg liegt im Argen – das ist nicht erst seit dem Skandal um den Tod des Pflegekinds Chantal deutlich geworden. Unklare Zuständigkeiten, überforderte Behörden-Mitarbeiter, fehlende öffentliche Mittel und die fatalen Auswirkungen der Privatisierungen der vergangenen Jahre sind nur einige Probleme, die im Zuge der Aufarbeitung des Falls öffentlich geworden sind.
Dass sich die Situation zukünftig noch verschärfen wird, zeigt sich in der Ankündigung des Senats, in der Offene Kinder- und Jugendarbeit massiv kürzen zu wollen. Anstatt die strukturellen Probleme anzupacken, kürzt der Senat die Zuwendungen der Fachbehörde und bei den Bezirken in Höhe von rund 10 Prozent mit einem Gesamtvolumen von bis zu 49 Mio. Euro mit dem Argument Schuldenbremse.
DIE LINKE hingegen fordert eine grundsätzliche Reform der Kinder- und Jugendhilfe nach einer grundsätzlichen Bestandsaufnahme durch eine Enquete-Kommission. Zwar haben sich in der Vergangenheit immer wieder Kommissionen und Ausschüsse mit einer Vielzahl von Problemen befasst – aber stets nur, um bestimmte Skandale aufzuklären und Verantwortliche für ganz konkrete Verfehlungen ausfindig zu machen. „Was noch immer fehlt, ist eine grundsätzliche Bestandsaufnahme zur Lage der Kinder und Jugendlichen in unserer Stadt von unabhängiger Seite – unter Berücksichtigung der konkreten Umstände in den einzelnen Stadtteilen“, sagt Mehmet Yildiz, kinder-, jugend- und familienpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft.
Denn die Unterschiede in den Lebenswelten der Hamburger Kinder und Jugendlichen sind je nach sozialem Umfeld groß: Nicht nur einkommensmäßig ist Hamburg gespalten, auch die Altersstruktur, die herkunftsmäßige Zusammensetzung der Bevölkerung und die Arbeitslosenquoten sind regional sehr unterschiedlich – was direkte Auswirkungen auf die Lage der Kinder und Jugendlichen hat.
„Die Konzentration von Armut in bestimmten Gebieten ist Ergebnis einer verfehlten Stadtpolitik des amtierenden und der vergangenen Senate“, bilanziert Yildiz. „Damit konzentrieren sich Problemlagen in benachteiligten Quartieren.“ Ebenso kritisch sieht er die Privatisierungspolitik der letzten Jahre. „Die Privatisierung der Jugendhilfe hat dazu geführt, dass ein riesiger Markt an privaten Anbietern entstanden ist. Der offensichtliche Konkurrenzdruck hat zu qualitativen Abstrichen geführt, die sich in der Leistungsvergabe an ökonomischen Zwängen und nicht nach individuell passenden Hilfen orientieren.“
Auch im Allgemeinen Soziale Dienst (ASD) herrscht eine hohe Überlastung. Hohe Fluktuationen, unbesetzte Vollzeitstellen, belastende Arbeitsbedingungen und ein hoher Krankheitsstand erschweren die Arbeit massiv. Ausdruck sind die Überlastungen in den Dienststellen. In diesem Kontext sind auch die vielen Schnittstellen im System zu diskutieren. Sie führen zu einer Häufung von Fehlern zum Beispiel in der Übergabe von Fällen zwischen Behörden und privaten Trägern.
Die Enquete-Kommission soll unter anderem folgende Fragen untersuchen:
• Entspricht das bestehende Jugendhilfeangebot den Bedürfnissen in den einzelnen Stadtteilen?
• Welche Schwerpunktsetzung in der sozialräumlichen Entwicklung ist notwendig?
• Welchen Einfluss hat die Ökonomisierung und Privatisierung insgesamt auf das System?
• Sind Hamburgs Jugendämter ausreichend personell und finanziell mit qualifiziertem Personal ausgestattet?
• Wie ist die Unterstützung junger Mütter geregelt?
• Welche infrastrukturellen Hilfeangebote sind notwendig?
• Wie sind Elternkompetenzen – bei kultureller Vielfalt – in Stadtteilen zu vermitteln?
• Welche Maßnahmen sind für die Zusammenarbeit mit Eltern geeignet, um den Transfer von Wissen und Kompetenzen in die Familien zu befördern?
• Inwiefern entsprechen die heutigen Arbeitsabläufe den Erfordernissen einer optimalen Arbeit?
• Inwiefern ist die Begrenzung der Fallzahlen für MitarbeiterInnen im ASD notwendig?
„Kinder und Jugendliche sind heute durch den ökonomischen, familienstrukturellen und gesellschaftlichen Wandel früh gefordert, selbstständig zu handeln und eigene soziale Bezüge aufzubauen. Wie ihnen ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung gelingt, hängt von ihrer jeweiligen Lebenslage ab. Während einige von neuen Chancen profitieren, erleben andere Schutzbedürftigkeit und Ausgrenzung. Für die am stärksten Benachteiligten sind Unterstützungsmechanismen zu schaffen, die eine Integration von Kindern und Jugendlichen fördert und damit die Teilhabe am Leben in der Stadt“, sagt Yildiz.